Am 12. Juni 2012 fand einer der spektakulärsten Strafprozesse in der australischen Geschichte ein Ende.
In einer vierten Untersuchung kam ein Gerichtsmediziner zu dem Schluss, dass die Eltern der verschwundenen Azaria Chantel Loren Chamberlain keines Verbrechens schuldig waren. Das neun Wochen alte Baby von Linda und Michael Chamberlain war am 17. August 1980 von einem wilden Dingo aus ihrem Zelt geholt und getötet worden. So hatten es die Eltern immer behauptet und nun bekamen sie Recht.
Im Sommer 1980 machten die Chamberlains Campingurlaub am Weltkulturerbe Uluru.
Der Uluru, auch bekannt als Ayers Rock, ist ein riesiger roter Sandsteinfelsen, der sich aus der dürren Ebene des Northern Territory erhebt. Eines Nachts verschwand Azaria Chamberlain aus dem unbewachten Zelt. Sie wurde von einem Dingo aus dem Zelt gezerrt und ins Buschland verschleppt. Niemand sah das Baby wieder, ihr Körper wurde nicht gefunden und die Geschichte wurde über Nacht zu einem Medienhype.
Eine erste Untersuchung aus der nächstgelegenen Stadt, Alice Springs, wurde live im Fernsehen übertragen.
So etwas hatte es zuvor in Australien nicht gegeben. Die Übertragung sorgte für Aufruhr, als es hieß, dass tatsächlich ein Dingo für das Verschwinden des Mädchens verantwortlich war. Der Richter, Denis Barritt, schlussfolgerte, dass „der Körper von Azaria dem Dingo weggenommen und auf unbekannte Weise beseitigt worden war, von einer Person oder Personen, Namen unbekannt.“ Dieses unbefriedigende Urteil führte zu einer weiteren Ermittlung und einer zweiten Untersuchung in Darwin.
Dort wurde unterstellt, dass Lindy Chamberlain ihrer Tochter auf dem Vordersitz des Autos die Kehle durchgeschnitten und den Körper in einem großen Koffer versteckt haben sollte.
Dann soll Lindy zum Campingplatz zurückgegangen und gebackene Bohnen für ihren Sohn zubereitet haben. Daraufhin soll sie zum Zelt zurückgegangen sein und geschrien haben, dass ein Dingo mit ihrem Kind davonrennt. Dieses Mal wurde Lindy des Mordes für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt; ihr Ehemann Michael wurde als Mittäter verurteilt. Die hysterische Presse hatte aus dem Fall eine Hexenjagd gemacht.
Es ging so weit, dass Lindy häufig als Hexe bezichtigt wurde – ohne auch nur einen triftigen Grund.
Es wurde behauptet, dass der Name „Azaria“ „Opfer an die Wildnis“ heißen würde, dabei bedeutet er tatsächlich „von Gott gesegnet“; es hieß, dass die Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten eine Sekte war, die Babys umbringt; und dass Lindy eine schlechte Mutter gewesen sein muss, weil sie ihrer Tochter ein schwarzes Kleid angezogen hatte – was aber zu der damaligen Zeit gerade in Mode war.
Die Aufklärung kam im Jahr 1986 in Form eines weiteren schrecklichen Unfalls.
Ein englischer Tourist, David Brett, kletterte abends auf den Uluru und stürzte dabei in den Tod. Es dauerte acht Tage, bis seine Leiche gefunden wurde. Während dieser Suche entdeckte man ein Stück Stoff außerhalb einer Dingo-Höhle. Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um Azarias fehlende Jacke handelte.
Lindy wurde sofort aus der Haft entlassen und kurz darauf wurden alle Verurteilungen gegen die Familie aufgehoben; letztendlich erhielten sie 1,3 Millionen australische Dollar als Entschädigung für die unrechtmäßige Haftstrafe.
Bild: © Martin Harvey / Alamy