Interview mit Hannes Jaenicke

Herr Jaenicke, Sie haben für die History-Dokumentation "Guardians of Heritage - Hüter der Geschichte" im Flüchtlingscamp Zaatari im jordanisch-syrischen Grenzgebiet gedreht. Wie anstrengend war der Dreh?

Wir waren vier Tage dort. Mir war vor allem wichtig, alles einmal aus nächster Nähe zu sehen, den syrischen Opfern dieses grauenhaften Krieges zu begegnen. Man liest ja viel über die syrische Katastrophe, oder glaubt, aus dem Fernsehen etwas darüber zu wissen.

Das Ganze live zu erleben, ist etwas ganz Anderes. Offiziell leben in diesem Flüchtlingscamp 80.000 Menschen, inoffiziell sind es aber bestimmt rund 120.000. Beeindruckend und berührend war vor allem zu sehen, dass sich im Flüchtlingscamp ein Kreis aus Profi- und Amateurkünstlern gebildet hat.

Sie haben aus Sperrholz die Kulturstätten von Palmyra, die vom IS zerstört wurden, nachgebaut. Das zeigt, wie wichtig diesen Menschen ihre Kulturstätten sind, und es beweist auch die Aktualität des Formats. Diese Doku-Reihe ist ein Herzensprojekt, und ich bin froh, mit dabei sein zu dürfen.

Welches Erlebnis oder welche Begegnung dort hat Sie besonders beeindruckt?

Da gab es viele. Ich habe im Camp ein Kunstwerk entdeckt, das den Titel „Lapidar Scenes from my Village“ trägt. Es zeigt Kinder, die im Krieg getötet wurden. Wir wollten unbedingt herausfinden, wer das Bild gemalt hat – was bei 120.000 Bewohnern wahrlich nicht einfach war.

Aber es ist uns gelungen. Es war ein 16-jähriges Mädchen, das bei einem russischen Bombenangriff schwere Verletzungen am Bein davon getragen hat und gehbehindert ist. Wir konnten dieses Mädchen ausfindig machen, und es fiel mir und unserer Crew schwer, nicht loszuheulen: Diese Nüchternheit, Klarheit, den unerschütterlichen Optimismus und gleichzeitig die Desillusion dieses Mädchens mitzuerleben war unglaublich. Wir haben das Bild gekauft und mit nach Deutschland gebracht. Das Geld fließt in die dortige Künstlergemeinschaft.

Ich würde es mir sehr wünschen, dass Politiker wie Herr Seehofer, Herr Gauland und Frau Petri einmal durch ein solches Lager laufen würden. Die Flüchtlingspolitik würde sich dann, glaube ich, radikal ändern. Es ist ein Augenöffner. Das Camp war aber überraschend gut organisiert und sauber. Und es gab eine unglaublich große Hilfsbereitschaft seitens der internationalen Gemeinschaft und privater NGOs.

Haben Sie sofort zugesagt, als die Anfrage für das Projekt kam?

Dies ist meine dritte Zusammenarbeit mit Emanuel Rotstein. Fernsehen macht Kluge klüger und Dumme dümmer, heisst es ja immer. Mit Emanuel macht man das Programm, das Kluge klüger macht. Und neben mir sind ja noch Ulrike Folkerts, Esther Schweins, Christian Berkel, Aglaia Szyszkowitz und Clemens Schick dabei. Es ist wirklich eine tolle und illustre Mischung an Persönlichkeiten.

Vom Retter der Tiere zum Retter der Kulturen. Worin liegt der Unterschied zu Ihren Tier-Dokus?

Es gibt keinen Unterschied. Die meisten Menschen glauben zwar immer, dass Umweltschutz nichts mit Menschen zu tun. Aber wenn man den Regenwald wegsägt, dann geht nicht nur der Orang-Utan verloren, sondern auch die Bewohner, die seit Jahrtausenden in und von diesem Urwald leben. Man kann Tier-, Umwelt- und Menschenschutz nicht mehr trennen. Ich habe das noch nie getan. An einer aussterbenden Tierart und ihrem Habitat hängen immer auch Menschen und ihre Schicksale mit dran.

Warum ist es Ihnen so wichtig, mit Ihren Dokus auf diese Themen aufmerksam zu machen?

Weil das Medium Fernsehen immer noch unglaublich mächtig ist. Man kann damit so viel bewegen. Dank meiner ersten Doku über Regenwald-Vernichtung wurden 1,5 Mio. Euro für die Wiederaufforstung gespendet. Das gelingt nur mit Fernsehen.

Zudem spielen Sie auch nach wie vor in Unterhaltungsformaten. Was macht Ihnen mehr Spaß?

Ich mache beides mit Begeisterung. Ich würde nicht mehr schauspielern, wenn ich keinen Spaß mehr daran hätte. Und ich würde keine Dokumentationen drehen wenn ich darauf keine Lust hätte. Die Abwechslung zwischen fiktionaler Unterhaltung und Information durch Dokus ist unglaublich spannend.

In „Guardians of Heritage“ stehen die im Mittelpunkt, die sich für den Erhalt von Kultur einsetzen. Was ist es, das den Kampf für Kultur so wichtig macht?

Man sagt, dass die Kultur das erste Opfer eines Krieges ist. Und das stimmt auch. Wir können nicht mehr tatenlos zusehen, wie unser gesamtes kulturelles Erbe Gefahr läuft, verloren zu gehen. Dabei geht es nicht nur um Kriegsgebiete wie Syrien oder Afghanistan, wo jahrtausendealtes Kulturgut mutwillig zerstört wurde – es ist auch der langsame und oftmals schleichende kulturelle Genozid an den Tibetern, den First Nations in Kanada, den American Indians oder australischen Aborigines.

Die Kultur ist die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens, die Grundlage unserer Zivilisation. Ein Angriff auf sie ist ein Angriff auf unser Leben. Die Menschheitsgeschichte zeigt: Wo Kultur mutwillig zerstört wird, wo Erinnerungen und Traditionen, Bräuche und Sprachen ausgelöscht werden, ist Völkermord nicht weit. Der Kampf um die Kultur ist ein Kampf für den Frieden und um die Zukunft der Menschheit, ein Kampf, der uns alle etwas angeht.

Text: Andrea Vodermayr